Gregor kann den Fuß kaum bremsen, als er fühlt, wie der Bass sich in seine Herzgrube senkt und der Hall seinen Horizont dehnt.
Seine treue Alfa Romeo Giulia 2000 brummt zickig mit und sie surren gemeinsam die B1 entlang mit selbstvergessenen und vorschriftsnahen 52 km/h.
Gregor singt kaugummikauend in seiner Mundhöhle mit: „I loved another woman“.
Er ist hingerissen. Immer wieder hatte er seinem Auto neues Blech spendiert und nun endlich ein neues altes Kassettendeck, Marke Grundig. Im Keller hatte er einen magischen Koffer hervorgekramt, kindlich lächelnd Berge von Kassetten gesichtet und einige traumhafte Mixtapes unter Windschutzscheibe bereit gelegt. Jedes Lied eine uralte Überraschung.
Gregor fühlt sich ganz und rund wie das Holz seines Lenkrades.
„Well, come back baby, I know I treated you wrong.“
Er freut sich strahlend seiner Inbrunst, als seine Zufriedenheit unversehens flattert. Etwas beginnt zu stören.
Von hinten fährt ein massiger BMW auf, erst überfährt er den Sicherheitsabstand und dann wird es drängend eng. Gregor kann im Rückspiegel nur noch den groben Kühlergrill und die ausladende schwarze Motorhaube sehen, die Fahrerscheibe liegt über Giulias Niveau.
Der Verkehr ist dicht und obgleich Gregor verträumt eine größere Lücke zum Vordermann hat entstehen lassen, kann es doch keinerlei physischen Vorteil haben zu drängeln. Vermutlich muss der Fahrer des BMW seine zu reichlich bemessenen PS kühlen.
Gregors Puls hüpft, doch er hält die bockige Giulia streng zurück. Noch gilt die städtische Geschwindigkeitsbegrenzung.
- Na, na, sagt er zu dem BMW-Blödmann, zu sich und zu Giulia.
Ruckartig zieht der BMW in eine Lücke auf die linke Spur und rauscht laut an Gregor & Giulia vorbei, als habe er freie Bahn. Nach einigen Metern fährt er gebremst hinter einem VW-Transporter.
Bei dieser kurzen Begegnung wäre es vermutlich geblieben, wenn die Band nicht soeben sich und Gregor und Giulia in ein knochiges Riff - „Shake Your Moneymaker“ - gestürzt hätte. Gregors Puls beschleunigt, die Musik beschleunigt und Giulia will beschleunigen.
- Na gut, meint Gregor und tritt durch. Giluia springt entzückt vor und kann aufgrund günstiger Konstellationen mit dem schwarzen Angeberungetüm gleichziehen. 65 km/h, unzulässig.
Gregor fährt weit rechts und kann so den hochsitzigen Fahrer sehen und ihm freundlich provozierend zuwinken. Dieser brüllt unverständlich vor sich hin und zuckt mit dem dürren Kopf. Gregor lässt Giulia leicht zurückfallen und nimmt den BMW-Blödmann ein wenig mit, indem er ihm die Zunge rausstreckt. Dies gibt Giulia die Chance neckisch aufheulend zwischen BMW-Klumpen und VW-Transporter auf die linke Spur zu huschen.
Gregor kichert, Jeremy Spencer ruft Yeah und der Blödmann tobt. Dies schließt Gregor daraus, dass er wieder dicht auffährt und außerdem aufblendet.
Was Gregor nicht davon abhält allmählich wieder langsamer zu werden.
Der BMW schert erneut aus, diesmal nach rechts, gelangt neben Gregor und der Fahrer gestikuliert wild.
Gregor klimpert ihn mit den Augen an, wirft Kusshändchen und erfreut sich daran, wie ihn die Aufregung des anderen erfreut. Er lässt seine melodische italienische Hupe ertönen, was ihm zuletzt ein Bußgeld eingebracht hat. Der BMW blökt langweilig – und hat schon wieder nicht aufgepasst: Gregor wechselt elegant vor ihn auf seine Spur.
- Wie in alten Zeiten, nicht wahr Giulia, sagt er, vielleicht rempelt er uns sogar an.
Inzwischen erhebt „The Green Manalishi“ das Ganze zum dramatischen Showdown.
- Aber weißt Du, er ist zu unentschlossen, er möchte keine Kratzer riskieren, sagt Gregor.
Der SUV hält nun etwas Abstand. Gregor schlenkert auffordernd.
- Vielleicht sollten wir ihn auffahren lassen, sagt Gregor, dann muss er zahlen.
Allmählich entsteht mehr Platz auf der Straße, einige Autos fahren ab, weniger kommen hinzu. Die Stadt bleibt zurück.
Der BMW wechselt wieder auf die Überholspur und versucht davon zu fahren. Gregor folgt ihm und ist alsbald wieder neben ihm, allerdings nun bei 120 km/h. Gregor winkt.
Das Verkehrsaufkommen lässt es noch immer nicht zu, dass der andere entkommt.
Der BMW-Fahrer ist in höchster Wut und fuchtelt mit einem Gegenstand herum, den Gregor für eine Feuerwaffe halten möchte. Er beugt sich vor, kramt im Handschuhfach und holt seine kratzige Minolta heraus. Da ist zwar kein Film drin, aber das weiß der Gegner ja nicht. Offensichtlich hat er nicht soviel Rennerfahrung wie Gregor. Er wird unaufmerksam, als er versucht sich vor Gregors Fotos zu verstecken. Sein Wagen schlingert und schrammt mit einem mörderischen Kreischen an der Leitplanke entlang.
- Uiuiui, so ein Anfänger, ruft Gregor und staunt über seine entsetzte Befriedigung.
Er signalisiert dem Anderen mit hochgezogenen Schultern und Augenbrauen scheinheiliges Mitleid und der schaut erstaunt und ratlos und hektisch. Nun fährt er etwas zurückhaltender und hält sich aufgeregt schnatternd sein Mobiltelefon ans Ohr.
Gregor fährt bei der nächsten Ausfahrt ab. Er ist ohnehin schon zu weit.
„I Need Your Love So Bad“ und Giulia fliegt beim Solo über alle Berge.